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Entwicklung von Nahversorgungszentren

Entwicklung von Nahversorgungszentren

Was ist eine bedarfsgerechte Nahversorgung? Welche Dimension und Entwicklungsspielräume sollen Versorgungszentren haben? Wie sind diese plausibel nachvollziehbar? Darauf geben wir hier unsere Antwort.

Die Versorgung der Bevölkerung mit deren täglichen oder periodischen Bedarfsgütern ist eine Hauptaufgabe der Kommunen. Mit der Sicherstellung der wohnortnahen Grundversorgung leisten die Kommunen für die im Grundgesetz geforderten „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ einen wichtigen Beitrag. Versorgungszentren sind Mittelpunkte des Handels, der Dienstleistungen und des kommunikativen Austausches im sozialen Miteinander. Damit dies für die Breite der Bevölkerung funktionieren kann, ist eine integrierte Lage in fußläufiger Erreichbarkeit unerlässlich. Nur so ist es allen Altersgruppen, mobilen und immobilen Menschen, möglich dieses Angebot zur Versorgung wahrzunehmen.

Kennzeichen für die Nahversorgungsbedeutung eines Zentrums ist die Existenz mindestens eines qualifizierten Lebensmittelbetriebes. Das heißt, mit einem ausreichenden Warenangebot aus den Sortimentsbereichen Nahrungs- und Genussmittel, Gesundheits- und Körperpflege, Schreibwaren/ Zeitungen/ Zeitschriften sowie Blumen (Indoor) und Tiernahrung. Ergänzt werden diese Warengruppen häufig durch weitere eher kleinteilige Einzelhandels- und Dienstleistungsangebote. Dazu zählen auch Dienstleister wie Post, Apotheke, Ärzte oder Friseure.

Die konkrete Ausgestaltung eines zentralen Nahversorgungsangebotes ist abhängig von der örtlichen Situation. In kleineren Gemeinden kann dies bereits eine kleine Ansammlung eines kleinflächigen (bis 800 m2 Verkaufsfläche) Discounters oder Supermarkt in Kombination mit Ladenhandwerk wie Bäcker, Metzger oder einer integrierten Postagentur sein. In größeren städtischen Strukturen kommt es dagegen oft zu einem Angebotsmix von Lebensmittlern unterschiedlicher Betriebsform (Discounter/Super- oder Verbrauchermarkt) und Fachmärkten wie Drogerie, Tierfutter oder Biofachmärkten. Hier siedeln sich auch gerne Dienstleister wie Ärzte oder Apotheken etc. an. Aggregierte Verkaufsflächendimensionen dieser Agglomerationen von 2.000 bis 4.000 m2 sind durchaus üblich.

Die durchschnittliche Ausstattung mit Verkaufsflächen des periodischen Bedarfs  liegt in Deutschland derzeit bei etwa 0,4 – 0,5 m2 je Einwohner. Diesen Wert als Vergleichs- oder Orientierungsgröße heranzuziehen und die örtliche Ausstattung daran zu messen ist wenig hilfreich. Die Realität zeigt, dass die Verkaufsflächenausstattungen im periodischen Bedarf je nach Zentralität des Ortes und der Versorgungsbedeutung für die Region großen Schwankungen unterliegt.

Ausführliche Analysen der Zentralen Orte zur Ausstattung im periodischen Bedarf zeigen, dass keine seriöse Vergleichbarkeit von Orten und deren Ausstattungsqualität möglich ist. Die Streuung der Ergebnisse innerhalb der jeweiligen Zentrentypen ist zu stark. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Dazu zählen z.B. die unterschiedliche Genehmigungspraxis, der Expansions- und Wettbewerbsdruck der Anbieter, die Verfügbarkeit geeigneter Flächen und nicht zuletzt das jeweilige Einzugsgebiet dieser Angebote.

Wie lässt sich nun die Ausstattung von Nahversorgungszentren sinnvoll bewerten und deren weitere Entwicklung steuern?

Die Betreiberkonzepte der Nahversorger, aber auch das Einkaufsverhalten der Bevölkerung haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Autoorientierte Angebote, vielfach an den Stadträndern positioniert, dominieren die meist kleinflächigen Angebote in den Stadtteilzentren. Wobei grundsätzlich der Verkaufsflächenbedarf der jeweiligen Anbieter wächst, so dass bereits Discounter mit früher rd. 800 m2 Verkaufsfläche nun etwa 1.000 m2 Fläche benötigen. In ähnlicher Form, nur mit größeren Flächen gilt dies auch für die Vollsortimenter (Supermärkte). Diese Wettbewerbssituation erschwert die wirtschaftliche Existenz kleinerer, wohnortnaher Betreiber, die durch die städtebauliche Situation und durch ein begrenztes Nahpotenzial wenig Anpassungsspielraum besitzen.

Gleichzeitig ist feststellbar, dass seit Beginn der 1990er Jahre die Preis- und Erlebniseinkaufsorientierung der Verbraucher den rein nahräumlichen Versorgungseinkauf bedrängt. Hierzu trägt vor allem die verbesserte Mobilität der Konsumenten bis ins hohe Alter bei. Daraus wird oft geschlossen, dass eine wohnortnahe Versorgung in ihrer Bedeutung verliert.

Dies gilt sicher für sehr ländliche Räume. In städtischen Zentren ist aus unserer Sicht die wohnortnahe Grundversorgung weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Daseinsgrundfunktionen. Im kommunalen Wettbewerb der Standorte im Speckgürtel von Metropolen ist die Versorgungsqualität ein wichtiges Zuzugsargument in der Doppelfunktion Arbeiten und Wohnen. Deshalb sollte die Zentren im Umfeld dieser Großstädte sehr sorgfältig den Nahversorgungsbedarf der Bürgerinnen und Bürger im Auge behalten. Zur Beurteilung des zukünftigen Bedarfes ist die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung ein wichtiger Gradmesser, wenn diese Prognose mit den städtischen Verfügbarkeiten von Grundstücken für Wohnraum abgeglichen ist.

Die nachstehende Darstellung zeigt die Bevölkerungsdichten auf der Straßenebene der Stadt. Sie ist wichtig für die weiteren Betrachtungen im Rahmen des Zentrenkonzeptes und der Berechnungen, wie gute die Nahversorgung für die Bevölkerung gesichert ist.

Sofort auffällig ist die dichte Wohnbebauung mit größeren Wohneinheiten im nördlichen Stadtgebiet. Deutlich heller in der Farbgebung und damit niedriger in der Wohndichte sind die Stadtränder. Eine äußerst dünne Besiedlung weist der Süden mit einem Gewerbegebiet aus.

Abb. Kleinräumige Bevölkerungsdichten und Versorgungsabdeckung

Wie eingangs bereits erläutert erschwert die harte Wettbewerbssituation in der Lebensmittelbranche in wenig verdichteten Räumen die wirtschaftliche Existenz kleinerer, wohnortnaher Betreiber, die durch die städtebauliche Situation und durch ein begrenztes Nahpotenzial wenig Anpassungsspielraum besitzen. Die großen Supermärkte wie REWE oder EDEKA versuchen deshalb, in potenzialstarken Räumen mit Kleinkonzepten ihre Marktposition weiter zu festigen. Kleinere Discounter, z.T. mit ethnischer Orientierung, sind bemüht, hier ihre Lücken zu finden.

Die Abhängigkeit der Verfügbarkeit vom vorhandenen Potenzial belegt auch die Studie der BBSR  (BBSR-Analysen KOMPAKT 10/2015: Erreichbarkeit von Gütern und Dienstleistungen des erweiterten täglichen Bedarfs):

Der allgemeine Gradmesser der kommunalen Versorgungsqualität ist die fußläufige Nahversorgung. Nur Großstädte können annähernd eine fußläufige Versorgung bieten. Je kleiner die Kommune desto problematischer wird die Versorgungsdichte.

Diese Versorgungsoption ist nicht nur aus Sicht des demographischen Wandels von besonderer Bedeutung. Oft wird vergessen, dass bundesweit etwa 20% der Haushalte keinen Pkw besitzen. Je städtisch verdichteter die Situation ist, kann dieser Anteil bis zu 50 % der Haushalte ansteigen (s. Untersuchung Mobilität in Deutschland 2002). Dies erklärt die zunehmende Beachtung der fußläufigen Abdeckung der Versorgung in den Kommunen. Wobei die Definition „fußläufige“ Erreichbarkeit vielfach mit einer Reichweite von etwa 600 – 800 Metern angenommen wird, die sich aus einer Zeitakzeptanz von ca. 10 Minuten bis zum nächsten Versorger ableitet. Eine Flächenabdeckung wird vielfach simuliert, indem 500 m – Luftlinien-Radien um Versorger gezogen werden. Decken diese Radien das Stadtgebiet ab, dann geht man von einer sehr guten wohnortnahen Versorgung aus.

Dabei werden zwei Aspekte außer Acht gelassen:

  1. Problematisch wird diese Bewertung, wenn das Stadtgebiet von Barrieren (Bahnlinien, Flussläufe, Firmengelände, etc.) durchzogen ist. Dies ergibt nur eine scheinbare Abdeckung. Deshalb verwendet SK reale fußläufige Strecken (entlang der Straßen) und keine Radien.
  1. Es sind nur in hoch verdichteten Wohngebieten genügend Bevölkerungspotenziale im engsten Radius vorhanden, um absatzwirtschaftlich erfolgreich agieren zu können. In kleineren Gemeinden/Städten wird es so immer nur zu geringen Abdeckungsquoten kommen können.

Durch gestiegenes Gesundheits- und Umweltbewusstsein und zunehmender Vitalität bis ins hohe Alter findet das Fahrrad eine nun schon länger anhaltende neue Akzeptanz. Während 20 % der Haushalte kein Auto besitzen, verfügen annähernd 80 % der Haushalte über mindestens 1 Fahrrad (Fahrrad-Monitor-Deutschland-2015). Während in Orten von 20.000 – 100.000 Einwohner 78 % der Befragten mindestens mehrmals pro Woche zu Fuß unterwegs sind, sind dies mit dem Fahrrad immerhin 62 %. Dabei nutzen 39 % das Fahrrad für Einkäufe und kleinere Erledigungen mehrmals pro Woche. Mit zunehmendem Alter nimmt dies ab (z.B. 32% der 60-69-Jährigen).

Gleichzeitig besteht gerade in diesen Altersgruppen ein steigendes Interesse an E-Bikes oder Pedelecs. In den akzeptierten Entfernungen orientieren wir uns an den Untersuchungsergebnissen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) :

Abb.: Modal-Split bei Einkaufswegen (Quelle: BBSR)

Auch andere Studien lassen die akzeptierte Entfernung im 10 Minuten Radius als relevant erscheinen. So hat sich Weidmann (1993; Transporttechnik der Fußgänger) ausführlich mit den Gehgewohnheiten beschäftigt und kommt auf eine Durchschnittgeschwindigkeit von 1,34 m/s, mit der man nach 10 Minuten ebenfalls eine Entfernung von 800 Metern zurücklegt (s. untenstehende Tabelle). Weidmann hat intersucht, dass bei (innerstädtischen) Einkaufswegen die Geschwindigkeit sich auf 1,16 m/s erhöht, so dass nach 10 Minuten bereits bis 700 m zurückgelegt wären.

Gleichzeitig betont er, dass noch weitere limitierende Effekte eintreten, wie körperliche Verfassung, Alter, Gepäck oder Verkehr, so dass bei Berücksichtigung aller Faktoren für Nahversorgungsgänge der 800 Meter Radius sehr nahe an die Realität liegen dürfte.

(Quelle Weidmann 1993 , eigene Darstellung und Berechnung)

Es liegt nahe, die Topographie ebenfalls zu berücksichtigen. Legt man die in der obigen Tabelle ausgewiesen Werte zugrunde, wird durch Umrechnung in Neigungen ersichtlich, dass dieser Umstand sich erst nach sehr großen Entfernungen, die deutlich über den 800 m-Radius gehen, relevant wird. Zudem kommt nach verschiedenen Versuchen und Berechnungen unsererseits hinzu, dass die verschiedenen hintereinander folgenden Steigungen und Gefälle auf dem Weg zu dem Ziel, ebenfalls dazu beitragen, dass dies bei unseren Einzugsgebieten für Nahversorgungszentren keine wesentliche Rolle spielt. In unseren Untersuchungen vernachlässigen wir deshalb das Thema Steigung.

Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Sicherung bzw. dem Ausbau der Nahversorgung in den jeweiligen Zentren. Um diesbezüglich konkrete, d.h. flächen- und sortimentsspezifische Aussagen treffen zu können, hat SK Standort & Kommune ein Modell entwickelt. Es orientiert sich an der aktuellen bzw. zukünftigen (unter Berücksichtigung der möglichen zusätzlichen Bevölkerungspotenziale) Versorgungsqualität.

Ein hierfür geeigneter Parameter ist die Pro-Kopf-Verkaufsfläche in den Bereichen Nahrungs- und Genussmittel bzw. Gesundheit/Körperpflege. Diese beträgt für die Gesamtstadt zum Beispiel 0,6 m2 (Nahrungs- und Genussmittel) bzw. 0,2 m(Gesund-heit/Körperpflege). Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt von etwa 0,4 m2 (Nahrungs- und Genussmittel) bzw. 0,05 m2 (Gesundheit, Körperpflege) lässt dies bereits auf ein gutes bis sehr gutes Ausstattungsniveau auf gesamtstädtischer Ebene schließen. In den für die Stadt hier berechneten Werten ist z.B. ein SB-Warenhaus als flächengrößter Anbieter bewusst nicht enthalten, da dieser kaum fußläufige Versorgungsfunktion übernimmt und mit seiner auf Pkw-Kunden ausgerichteten enormen Verkaufsflächengröße die gesamtstädtischen Ausstattungswerte verzerren würde. Als Maßstab bzw. ‚Richtschnur’ für die weitere Entwicklung erscheinen daher die eingangs dargestellten Werte deutlich aussagekräftiger, zumal diese v.a. Angebote mit fußläufiger bzw. wohnortnaher Versorgungsfunktion einschließen.

In einem ersten Untersuchungsschritt wird nun für die jeweiligen Zentren die heutige Pro-Kopf-Verkaufsfläche (differenziert nach Nahrungs- und Genussmitteln, Gesund-heit/Körperpflege) innerhalb eines (noch) fußläufigen 800m-Bereichs berechnet. Danach erfolgt eine Gegenüberstellung dieser Werte mit den genannten gesamtstädtischen Richtwerten und eine Berechnung bereits heute möglicher Verkaufsflächenspielräume, die aus dem Ansatz dieser auf die Gesamtstadt bezogenen Werte resultieren.

In einem weiteren Untersuchungsschritt wurden zusätzlich die lt. Bauamt möglichen Bevölkerungszuwächse im Umfeld der Zentren berücksichtigt und – analog zur beschriebenen Vorgehensweise – wiederum Verkaufsflächenspielräume berechnet.

Abschließend prüfen wir die rechnerisch ermittelten Verkaufsflächenspielräume auf Plausibilität bzw. marktseitige Realisierbarkeit und passen diese ggf. an.

Diese Verkaufsflächenspielräume sind auf die Ist-Situation bzw. den aktuell absehbaren Planungsstand (im Hinblick auf die von der Stadt vorgesehenen Wohngebietsentwicklungen) bezogen und stellen die maximale Größenordnung dar.

Darüber hinaus gehende Abweichungen von diesen Verkaufsflächenobergrenzen sind ausnahmsweise dann möglich, wenn sich nach Verabschiedung des Zentrenkonzeptes konkrete Wohnbauentwicklungen innerhalb des noch fußläufigen 800 m-Bereichs um die Zentren abzeichnen und dadurch zusätzliche Verkaufsflächenspielräume entsprechend der eingangs berechneten Kennziffer entstehen.

Beispiel: Um ein Versorgungszentrum leben innerhalb eines 800m-Bereichs 1.666 Personen, im radmobilen Einzugsbereich (bis 2 km) beläuft sich die Einwohnerzahl auf 6.079. So ist im Zuge der Entwicklung der Wohngebietsplanungen bzw. bereits in Umsetzung befindlichen Bauvorhaben ein Anstieg der Gesamtbevölkerung innerhalb eines 800 m-Bereichs auf bis zu 4.600 Einwohner möglich. Bei Ansatz der gesamtstädtischen Pro-Kopf-Werte (0,6 m2 bzw. 0,2 m2 Verkaufsfläche pro Kopf) würde dies unter Abzug der Bestandsflächen einen zusätzlichen rechnerischen Verkaufsflächenspielraum von rd. 570 m2 im Bereich Nahrungs- und Genussmittel und 550 m2 im Bereich Gesundheit/Körperpflege ergeben.

Zuletzt ist noch die Auswirkung aller Spielräume auf die umliegenden relevanten Zentren und die Innenstadt zu überprüfen. Ist dies vertretbar, dann können diese Größenordnungen als Entwicklungsspielraum des Zentrums gelten.